Die Millionen Datenpunkte für derartige Vorhersagen speisen sich aus allen Bereichen rund um die Ernährung. Von den Satelliten- und Ackerdaten der Landwirtschaft über Transportwege bis hin zum Einkaufsverhalten. Auch Informationen aus smarten Küchengeräten, Bewegungsdaten des Smartphones auf dem Weg ins neue Restaurant oder der eigene Instagramfeed kommen hinzu. Allesamt Daten, die schon heute über die Server von Amazon und Co. laufen. Die Zukunft der Ernährung wird von den Algorithmen der Tech-Konzerne bestimmt werden – und bisher fehlt das europäische Verständnis, geschweige denn die Antwort dafür.
„Deutschland war während der Industrialisierung ein Land, das durch seine Gründertätigkeiten hervorgestochen ist“, sagt Haase, „wir lassen uns heute aber weit überholen. Bei den Lebensmitteln werden wir Ähnliches erleben. Dass wir als Wirtschaftsstandort zwar noch für Produktion genutzt werden, aber nicht die Innovationen bringen, die der Markt braucht.“ Europa könne mit seiner Ackerfläche kaum mit Ländern wie Brasilien mithalten. Genauso wenig sei es sinnvoll, hier für den globalen Export Tiere zu mästen. Stattdessen müsse Europa mit Innovationen die Debatte voranbringen. Doch jene Start-ups, die in Deutschland genau das versuchen, verzweifeln laut Haase an den Hindernissen: „Die kriegen 20 000 Euro Förderung, davon können die gerade mal die Miete für ihr Büro zahlen.“
Zum Vergleich: In den USA habe man im vergangenen Jahr rund 16 Milliarden Dollar in Agrar-Start-ups gesteckt. In Deutschland waren es etwa 16 Millionen. „Das ist ein ganz anderes Spielgeld.“ Es fehle der Politik an Entschlossenheit. Es gehe nicht nur darum, über die Zukunft zu reden, sondern auch darum, sie zu gestalten. Als Sinnbild für das, was derzeit falsch läuft, nennt der Aktivist die Zukunftskommission von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). In diese Kommission seien keine jungen Gründerinnen oder Gründer geholt worden, die über die Zukunft nachdenken. Stattdessen werde er von Vertretern aus Politik und Industrie ausgelacht, wenn er das Thema auf Messen anspreche. „Und dann gucke ich auf mein Handy und sehe eine Pressemitteilung, dass Memphis Meats im Silicon Valley knapp 160 Millionen Venture-Capital Funding bekommen hat.“
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Richtig eingesetzt könnten die gesammelten Datenmengen ein größeres Bewusstsein für einzelne Lebensmittel schaffen, irreführende Etiketten am Regal entlarven oder mit Hilfe von Sensorik genau über das Tierwohl im Stall informieren. Food-Aktivist Haase ist zudem überzeugt, dass eine angemessene Reaktion auf den Klimawandel nur mit digitalen Mitteln zu schaffen ist: „Wenn wir so große Themen wie Lebensmittelverschwendung angehen wollen, Entwicklungshilfe, Hunger, Selbstversorgung, Kontakt zum regionalen Bauern – dann stecken alle diese Themen in der Digitalität.“
Falls diese Chancen jedoch ungenutzt bleiben, könnten bestehende Konflikte rund um Ernährung durch die Digitalisierung eher zunehmen. Und bisher scheinen hierzulande wenige die Initiative zu ergreifen. Hendrik Haase blickt besorgt auf diese Entwicklung: „Ich sehe die deutsche Politik wahnsinnig schlecht aufgestellt. Die rennen hinterher. Wir brauchen eine europäische Technologie-Antwort beim Essen, die auf europäischen Werten basiert: Freiheit, Demokratie und Datenschutz.“