Die alte und die neue Welt stehen sich also nicht per se gegenüber, sondern sollten gemeinsam in die gleiche Richtung gehen?
Genau dahin müssen wir, auch wenn das leider häufig noch eher Wunschdenken ist. Gerade in der klassischen Old Food Economy werden diese Transformationsbemühungen gerne als Experimente von irgendwelchen Spinnern abgetan. Davor kann ich nur warnen. Das macht keinen satt. Ich glaube, wir brauchen da eine andere Innovationskultur, ein anderes Denken. Und da haben wir in Deutschland noch einiges aufzuarbeiten. Aber auch in der Start-up-Welt begegne ich immer wieder einer gewissen Hybris. Da denken manche: „Wir haben jetzt die Revolution auf dem Teller und alle werden das ab morgen essen.“ Doch das stimmt in vielen Fällen auch nicht. Da gilt es einen gewissen Respekt vor dem Erbe zu wahren. Denn die klassische Landwirtschaft sorgt natürlich nach wie vor dafür, dass wir alle satt werden.
Sie sprechen viel von Technologien, wenn Sie von der Transformation reden. Heißt das, die Technik wird’s schon richten?
Nein, eben nicht. Und das ist aus meiner Sicht eine der großen Herausforderungen. Und auch der Gefahren. Wenn man einfach nur auf neue Technologien setzt, vergisst man schnell den kulturellen Einfluss. Man vergisst die gesellschaftlichen Herausforderungen, die Politik und natürlich auch das traditionelle Wissen. Denn vieles, was in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten erprobt wurde, ist nicht per se veraltet. Auch das meine ich mit Hybris. Da kann man sich nicht einfach drüber stellen und erwarten, dass eine neue Technologie mit offenen Armen empfangen wird. Dafür braucht es eine funktionierende Innovationskultur. Denn viele der neuen Technologien wie datengetriebene Systeme oder selbstlernende Algorithmen sind wirklich mächtig, aber auch unsichtbar. Ein Traktor ist ein sichtbares Symbol. Und was man damit machen kann, weiß jedes Kind. Einen Algorithmus sieht man nicht. Und was der alles mit sich bringt, liegt auch oft im Verborgenen. Da ist der Blick unter die Motorhaube schwer.
Und schafft damit ein Spannungsfeld zwischen Innovation, Gesellschaft, Kultur und Politik?
So ist es. In Food Labs, bei Start-up, auf Messen wie der Anuga FoodTec – überall begegnet man Ingenieurinnen und Ingenieuren, die von ihren neuen Erfindungen begeistert sind. Immer kleinere Sensorik, immer smartere Algorithmen, herausragende Bilderkennung, umfangreiche Big-Data-Analysen. Diese Faszination teile ich. Das Problem entsteht dann, wenn man glaubt, das alleine würde genügen. In der Technologiegeschichte gibt es sehr viele Beispiele, die das Gegenteil zeigen. Die Swing Riots etwa. Das waren Aufstände Anfang der 1830er-Jahre in England. Damals sollten pferdebetriebene Dreschmaschinen eingesetzt werden, die ungefähr zehn Landarbeiter pro Dreschvorgang ersetzten. Das führte zu Angst um Arbeitsplätze. Zu Unmut. Und zu einer Gegenbewegung, die die Maschinen in Brand setzte. Das heißt, einerseits muss die Relevanz einer Innovation für alle erkennbar sein. Aber andererseits müssen auch ihre Folgen für alle Akteure offen diskutiert werden. Denn selbst die ausgereiftesten Technologien brauchen politischen und gesellschaftlichen Rückhalt. Und heute stehen gravierende Umbrüche vor uns; immer bessere Algorithmen, immer smartere Robotik; Biotechnologie; und am Horizont sehe ich schon die Quantencomputer. Das sind ernst zu nehmende Technologie, die wahnsinnigen Sprünge erzeugen werden. Doch Technologien dienen keinem Selbstzweck. Sie müssen gestaltet werden. Tun wir das nicht, werden wir Probleme bekommen. Dann haben wir moderne „Swing Riots“.