Für die Wochenendausgabe der Frankfurter Rundschau habe ich mit Valerie Eiseler über die digitale Revolution rund um unsere Teller gesprochen und die Investoren im Silicon Valley, die längst begriffen haben, dass im Essen das Geld steckt.
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„Die investieren nicht nur in künstliche Intelligenz, sondern auch in leichtere Agrarmaschinen und Sensorik, die dann auch Gerüche und Geschmäcker wahrnehmen kann“, berichtet Hendrik Haase, Blogger und Food-Aktivist. Er beobachtet seit einigen Jahren die Digitalisierung des Essens. Die Gründerinnenszene im Agrarbereich zieht laut Haase vor allem im Silicon Valley der USA, in Tel Aviv und in der Shenzhen-Region in China enormes Kapital an. Und auch ein paar Schritte weiter in der Lebensmittelkette werfen Investoren nicht zu knapp mit Geld um sich. Im Fokus stehen hier Roboter für Gastronomie und autonome Lieferdienste.
Denn der Kerngedanke hinter diesen Investitionen ist es, Kreisläufe zu schließen. „Und dort wo Kreise geschlossen werden, entstehen Abhängigkeiten“, warnt der Aktivist. Er vergleicht die Lage mit der Situation der Medienbranche. Abhängigkeiten von zunächst unterschätzten digitalen Plattformen haben nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch deren Machtverhältnisse verändert. Deshalb solle man sich schon jetzt für diesen Wandel in der Lebensmittelbranche wappnen, findet Haase. Das Hindernis: In Deutschland habe man immer noch nicht verstanden, wie Essen und Internet zusammenpassen. Selbst auf Fachmessen der Agrarindustrie stößt der stets mit einem Zylinder bekleidete junge Mann auf Unverständnis. „Aktuell wird man von der Industrie noch ausgelacht, wenn man mit selbstfahrenden Robotern auf dem Acker ankommt.“
Bei der Verschränkung von Digitalem und Essen geht es aber nicht nur um Maschinen, sondern vor allem um Daten. Es werden bereits massenhaft Daten rund um Lebensmittelproduktion, Vertrieb und Konsum gesammelt, Tendenz steigend. Entsprechend energisch erklärt Haase: „Wir denken immer noch, die Zukunft kommt mit einem Roboter durch die Tür gekracht – aber was wir nicht sehen ist, dass diejenigen, die jetzt schon Daten sammeln, bald in der Lage sind, Ketten zu schließen und daraus Vorhersagen zu treffen, wann Sie in Ihrem Homeoffice wahrscheinlich Hunger auf einen Müsliriegel haben und wie dieser aussieht.“
Die Millionen Datenpunkte für derartige Vorhersagen speisen sich aus allen Bereichen rund um die Ernährung. Von den Satelliten- und Ackerdaten der Landwirtschaft über Transportwege bis hin zum Einkaufsverhalten. Auch Informationen aus smarten Küchengeräten, Bewegungsdaten des Smartphones auf dem Weg ins neue Restaurant oder der eigene Instagramfeed kommen hinzu. Allesamt Daten, die schon heute über die Server von Amazon und Co. laufen. Die Zukunft der Ernährung wird von den Algorithmen der Tech-Konzerne bestimmt werden – und bisher fehlt das europäische Verständnis, geschweige denn die Antwort dafür.
„Deutschland war während der Industrialisierung ein Land, das durch seine Gründertätigkeiten hervorgestochen ist“, sagt Haase, „wir lassen uns heute aber weit überholen. Bei den Lebensmitteln werden wir Ähnliches erleben. Dass wir als Wirtschaftsstandort zwar noch für Produktion genutzt werden, aber nicht die Innovationen bringen, die der Markt braucht.“ Europa könne mit seiner Ackerfläche kaum mit Ländern wie Brasilien mithalten. Genauso wenig sei es sinnvoll, hier für den globalen Export Tiere zu mästen. Stattdessen müsse Europa mit Innovationen die Debatte voranbringen. Doch jene Start-ups, die in Deutschland genau das versuchen, verzweifeln laut Haase an den Hindernissen: „Die kriegen 20 000 Euro Förderung, davon können die gerade mal die Miete für ihr Büro zahlen.“
Zum Vergleich: In den USA habe man im vergangenen Jahr rund 16 Milliarden Dollar in Agrar-Start-ups gesteckt. In Deutschland waren es etwa 16 Millionen. „Das ist ein ganz anderes Spielgeld.“ Es fehle der Politik an Entschlossenheit. Es gehe nicht nur darum, über die Zukunft zu reden, sondern auch darum, sie zu gestalten. Als Sinnbild für das, was derzeit falsch läuft, nennt der Aktivist die Zukunftskommission von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). In diese Kommission seien keine jungen Gründerinnen oder Gründer geholt worden, die über die Zukunft nachdenken. Stattdessen werde er von Vertretern aus Politik und Industrie ausgelacht, wenn er das Thema auf Messen anspreche. „Und dann gucke ich auf mein Handy und sehe eine Pressemitteilung, dass Memphis Meats im Silicon Valley knapp 160 Millionen Venture-Capital Funding bekommen hat.“
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Richtig eingesetzt könnten die gesammelten Datenmengen ein größeres Bewusstsein für einzelne Lebensmittel schaffen, irreführende Etiketten am Regal entlarven oder mit Hilfe von Sensorik genau über das Tierwohl im Stall informieren. Food-Aktivist Haase ist zudem überzeugt, dass eine angemessene Reaktion auf den Klimawandel nur mit digitalen Mitteln zu schaffen ist: „Wenn wir so große Themen wie Lebensmittelverschwendung angehen wollen, Entwicklungshilfe, Hunger, Selbstversorgung, Kontakt zum regionalen Bauern – dann stecken alle diese Themen in der Digitalität.“
Falls diese Chancen jedoch ungenutzt bleiben, könnten bestehende Konflikte rund um Ernährung durch die Digitalisierung eher zunehmen. Und bisher scheinen hierzulande wenige die Initiative zu ergreifen. Hendrik Haase blickt besorgt auf diese Entwicklung: „Ich sehe die deutsche Politik wahnsinnig schlecht aufgestellt. Die rennen hinterher. Wir brauchen eine europäische Technologie-Antwort beim Essen, die auf europäischen Werten basiert: Freiheit, Demokratie und Datenschutz.“