Die digitale Welt verändert auch die Lebensmittelbranche. Ob Bio und Regionalität in der Zukunft eine Rolle spielen, wird sich vor allem im digitalen Raum entscheiden. Künstliche kulinarische Intelligenz schafft neue Chancen und Herausforderungen für die Bio-Branche.
Die Art, wie Menschen heute über Essen sprechen, denken und es konsumieren, wird zunehmend von digitalen Entwicklungen beeinflusst. Unsere Esskultur steht immer stärker unter dem Einfluss „sozialer“ Medien und Algorithmen, die mit unseren Vorlieben und Verhaltensweisen mitlernen. Plattformen wie Instagram und TikTok sind dabei nicht nur Inspirationsquellen, sondern zentrale Schauplätze für Food-Trends. Hashtags wie #OrganicFood oder #Farm- ToTable erreichen Millionen von Beiträgen – doch gegen die 500 Milliarden Aufrufe von Videos allein mit dem Hashtag #Food auf TikTok wirken diese Zahlen fast bescheiden. Hier entscheiden keine Spitzenköche oder Ernährungsexpertinnen mehr, was Trend wird, sondern Influencer und Algorithmen. Doch die digitale Essenswelt geht weit über Inspiration hinaus: KI-gestützte Tools wie die des Startups TasteWise analysieren automatisiert Inhalte rund ums Essen aus riesigen Datenmengen von Instagram, Facebook und anderen Plattformen, um live Foodtrends zu identifizieren und Gastronomen bei der Speisekartengestaltung zu helfen. Smarte Landtechnik mit automatisierter KI-Bilderkennung analysiert weltweit Äcker, erkennt blitzschnell Nutzpflanzen und Beikraut und eliminiert den Einsatz von Spritzmitteln durch punktgenaue mechanische Bearbeitung. Die gleiche Technologie ersetzt Kassierer:innen in Kantinen durch automatisierte Erkennung der Speisen auf Tabletts bei der Essensausgabe. Bio-Betriebe und Kantinen können diese Technologien nutzen, um nicht nur effizienter und ressourcenschonender zu arbeiten, sondern auch ihre Prozesse nachhaltiger zu gestalten und neue Standards für Transparenz zu setzen.
Der Text erscheint im bioland-Fachmagazin im Februar 2025
Die Zukunft der Kantine
Die Kantine der Zukunft setzt auf moderne Technologien wie kompakte Sensorik und mitlernende Algorithmen. Intelligente Systeme wie elektronische Nasen analysieren in Echtzeit die Gaszusammensetzung in Lägern, um Reife- oder Verderbsignale bei Lebensmitteln frühzeitig zu erkennen. So können Produkte rechtzeitig verarbeitet werden, bevor sie verderben. Big-Data- Technologien kombinieren diese Informationen mit externen Daten wie Wetterprognosen oder Veranstaltungsplänen, um präzise Bedarfsprognosen zu erstellen. Dies schont Ressourcen und stellt die Verfügbarkeit frischer Produkte sicher. Ein Beispiel ist die Software Delicious Data, die Konsumgewohnheiten sowie saisonale und wetterabhängige Schwankungen analysiert. Mit diesen Erkenntnissen passt sie Menüs bedarfsgerecht an, reduziert Lebensmittelverschwendung und optimiert gleichzeitig die Kundenzufriedenheit. Solche Technologien machen Kantinen effizienter und transparenter – ein Vorteil, der besonders für die Bio-Branche entscheidend ist. Darüber hinaus schaffen automatisierte Prozesse Freiraum für das Wesentliche: Genuss und Gemeinschaft. KI und Automatisierung entlasten das Küchenteam, sodass es sich auf kreative Aufgaben wie die Entwicklung neuer Rezepte, Qualitätskontrolle oder den Austausch mit Gästen konzentrieren kann. Kantinen werden so zu Orten der Begegnung, an denen das Erlebnis und der persönliche Austausch genauso wichtig sind wie die Qualität des Essens.
Bio in digitaler Essenswelt
Die digitale Transformation ist für die Bio- Branche Chance und Herausforderung zugleich. Startups wie Crowdfarming zeigen, wie echte Transparenz neue Verbindungen zwischen Konsument:innen und Landwirten sowie Landwirtinnen schaffen kann. Verbraucher:innen können über die App nicht nur Produkte direkt vom Hof beziehen oder Produkt-Patenschaften übernehmen, sondern erfahren gleichzeitig alles über deren Herkunft – von Anbau über Verarbeitung bis zum Transport. Diese Transparenz geht über die bisherigen Standards hinaus und setzt neue Maßstäbe. Die digitale Welt fordert Bio jedoch auch heraus. Verbraucher:innen erwarten schnelle Antworten auf Fragen wie: „Wie hoch ist der CO2-Fußabdruck genau?“ oder: „Wo kommt mein Essen her?“. Die persönliche Assistenz, zu der viele KI-Anwendungen inzwischen werden, liefern diese Antworten in Echtzeit. Die Bio-Branche muss diesen digitalen Kulturwandel verstehen und für sich nutzen lernen, um ihre Produkte präzise und nachvollziehbar zu positionieren. Nur so bleibt Bio für eine zunehmend digital geprägte Kundschaft relevant. So viele Chancen wie die digitale Transformation bietet, birgt sie auch Risiken. Algorithmengesteuerte Filterblasen „sozialer“ Medien verstärken auch ungesunde Ernährungsgewohnheiten und Stress. Studien zeigen, dass Jugendliche zunehmend Gefühle wie Unsicherheit oder Schuld mit dem Thema Essen verbinden. Diese Unsicherheiten sind eine Herausforderung für die Bio-Branche, die eine Brücke zur analogen Welt bauen muss. Haptik, Geschmack und Authentizität bleiben unverzichtbar. Wie der Soziologe Hartmut Rosa betont, sehnen sich Menschen nach Resonanz – einem Mitschwingen mit der realen Welt. Dies gilt besonders in Zeiten zunehmender digitaler Beschleunigung. Biologische Lebensmittel können genau diese Resonanz bieten, indem sie nicht nur gesunde Nahrung, sondern auch eine Verbindung zur Natur und Gemeinschaft schaffen. Die Zukunft der Außer-Haus-Versorgung wird bei richtigem Einsatz moderner digitaler Möglichkeiten präziser, nachhaltiger und transparenter. Sensoren, Algorithmen und Automatisierung ermöglichen es, Ressourcen effizienter zu nutzen und individuelle Bedürfnisse zu erfüllen. Doch der Schlüssel liegt darin, Technologie als Werkzeug zu verstehen, das menschlichen Bedürfnissen dient. Die Bio-Branche hat das Potenzial, digitale und analoge Stärken zu verbinden. Wenn Kantinen zu Resonanzräumen werden, in denen Genuss und Gemeinschaft im Vordergrund stehen, können sie zu Vorreitern in der digitalen Esskultur werden. Bio muss Innovationen nicht nur nutzen, sondern aktiv prägen, um im digitalen Zeitalter relevant zu bleiben. Denn am Ende entscheidet sich die Zukunft von Bio – genau wie die Esskultur – im digitalen Raum. Wertebasierte Lösungen und die aktive Entwicklung von Agilität und Anpassungsfähigkeit durch die Bio-Branche sind entscheidend, um zukunftsweisende Technologien gezielt und erfolgreich einzusetzen.