Als Publizist und Keynote-Speaker werden Sie häufig mit dem Satz zitiert: „Neue Technologien stellen unsere Lebensmittelwelt auf den Kopf.“ Was passiert denn da?
Wir müssen künftig entscheiden, wie stark wir Algorithmen mitentscheiden lassen; Beispiel: Sortiments- oder Regalgestaltung. Hier gibt es ja bereits mitlernende Technologie, die vorgeben kann, wo welche Produkte im Regal stehen und wie viele davon. Prozesse dieser Art werden weiter zunehmen und wir müssen entscheiden, wie künftig das Mensch-Maschinen-Verhältnis aussehen soll; wie auch Bauchgefühl und Erfahrung der Kaufleute zum Tragen kommen, die mit individueller Gestaltung Einkaufserlebnisse kreieren.
Inwieweit kann Technologie zum Game-Changer bei der Bereitstellung von Produkten avancieren?
Wir sprechen von völlig neuen Arten der Lieferkettengestaltung oder auch der Produktionsbedingungen, wenn beispielsweise selbstständige Algorithmen automatisierte, sehr individuelle fluide Bestelllisten für jede Filiale im Handel erstellen, für jedes einzelne Regal für Wochen im Voraus planen, berechnet nach Wetter-, Urlaubs-, Konsumdaten, nach Foodtrends und Marketingaktivität. Ich wünsche mir von Akteuren das Verständnis, dass damit weniger eine graduelle Veränderung im Handel oder der Produktion passiert, sondern durchaus eine Revolution stattfindet.
Das bedeutet das für die Markenwelt?
Sie steht vor völlig neuen Herausforderungen. Beispiel: Der Kunde hat die Wahl zwischen zwei Produkten, gleichzeitig nutzt er ChatGPT oder andere KI-Agenten, die ihm Empfehlungen für die Produktauswahl bzw. für seine Ernährung geben, also Plattformen, die auf trainierten Algorithmen beruhen. Wer hat sie trainiert, ist die Marke bekannt? Bislang ist Werbung über ChatGPT gar nicht möglich, wie bleibt eine Marke damit bei den Nutzern relevant? Diese Fragestellungen sind zu klären; im Marketing müssen sich Marken jedenfalls auf eine ganz neue Welt einstellen.
Die Folgen für unser Essen?
Sprechen wir von digital gestützten Prozessen, die beispielsweise auf das Klientel individuell abgestimmte Angebote ermöglichen und damit den Absatz von Produkten optimieren, sehe ich große Chancen bei der Frische, auch im Convience- oder Tiefkühlbereich; hier können durch verbesserte Prognosen viele Vorteile entstehen. Die Kehrseite: Im Bereich der selbstlernenden Algorithmen ist nicht immer nachvollziehbar, wie es zu einer Empfehlung kommt, warum etwa ein Produkt für mich das richtige ist. Da kann es zu gravierenden Fehlleistungen kommen.
Und wie sieht es mit Genussmomenten aus? Bleiben sie auf der Strecke?
Es wird die kulturelle Herausforderung sein, dass wir als Gesellschaft diese Transformation auch menschlich gestalten. Es geht nicht nur um den innovativen oder KI-getriebenen Handel, sondern immer noch um den Kunden mit seinen Vorlieben und Werten, es geht um Menschlichkeit. Diesen Diskurs mitzuformen, wird auch entscheidend sein, wenn es darum geht, sich mit der eigenen Marke von anderen zu unterscheiden.