Dieses Jahr habe ich die Freude den Bayrischen Gastgebertag der DEHOGA als Vortragsredner mitgestalten zu düfen. Am 5. November spreche ich über die vielen Themen die mich in der Gastwelt im digitalen und ökologische Umbruch bewegen. Vorab habe ich mit dem Magazin der Dehoga darüber gesprochen…
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Digital. Viral. Banal?
So prägt das Internet unsere Esskultur
„Zeig mir, was Du isst, und ich sage Dir, wer Du bist.“ Klingt nach Küchenpsychologie? Tatsächlich sind Lebensmittel heute nicht nur Mittel zum Leben. Es sind Identitätsmarker. Wer Oma früher mit Punkerfrisur schocken wollte, provoziert heute eher mit der Aussage „Ich bin Veganer!“
Das Gastgeber-Bayern-Magazin traf einen, der es wissen muss: Hendrik Haase hat Kommunikationsdesign studiert und ist heute gefragter Autor, Redner und Berater rund um das Thema Esskultur. Er sagt: „Lifestyle definiert sich bei jungen Menschen heute stark über das Essen. Das ist für ältere Generationen manchmal schwierig zu verstehen. Oft führt es zu Konflikten und dem Vorwurf, die Jungen machen alles so kompliziert. Gastgeber und Lebensmittelproduzenten sollten diesen Aspekt jedoch beachten, weil sie sonst mit ihren Produkten und Marketingstrategien die neue Zielgruppe nicht erreichen.“
KOCHSHOWS IM TV, REZEPTINSPIRATION IN ZEITSCHRIFTEN – WELCHEN EINFLUSS HAT DENN DA DIE DIGITALISIERUNG AUF ERNÄHRUNGSTRENDS?
Haase: „Drei bis fünf Stunden Zeit verbringen junge Menschen heute auf Social-Media-Plattformen. Davon die größte Zeit auf Tiktok. Diese App wird heute mehr genutzt als YouTube, Netflix, Facebook oder Instagram. Das hat einen immensen Einfluss auf Konsum und Esskultur. Deswegen spreche ich auch von der „digitalen Esskultur“, deren Einfluss wir bislang noch viel zu wenig berücksichtigen. In den USA zeigen Umfragen: Mehr als die Hälfte der Generation Z lässt sich beim Thema Essen von Tiktok inspirieren. Der besondere Unterschied von Tiktok gegenüber Apps wie Facebook: Der Nutzer sieht Inhalte, die eine KI ihm vorschlägt, nicht die Inhalte der eigenen Freunde. Das kann zu erheblichen Verzerrungen führen.
TIKTOK – EIN UNTERSCHÄTZTER MANIPULATIONS-POOL?
Haase erahnt das unglaubliche Manipulationspotential, dass sich hinter derartigen Plattformen verbirgt. Der Algorithmus dieser App kann sich rasend schnell auf die Interessen des Anwenders einstellen. Die Software analysiert im Hintergrund eine ganze Fülle an Aspekten: Was wird angeschaut? Wie lange? In welchem Moment wird der Inhalt gewechselt? Testweise werden neue Inhalte vorgeschlagen, um den Nutzer noch besser einschätzen zu können. So entstehen ganz individuelle „Informationsblasen“, die auch Ernährungsgewohnheiten beeinflussen. Haase: „Ich bringe dazu mal ein praktisches Beispiel: Wenn ich mich als Mensch gesund ernähren will, sehe ich auf Tiktok Fitnessleute. Einer von denen erwähnt, dass Zuckerkonsum ungesund ist. Ich interessiere mich dafür und bekomme weitere Videos eingespielt. Dort erwähnt dann ein anderer, von Milch bekäme man Krebs. Ich verfolge diesen Informationsstrang und lande bei einem, der behauptet, er isst nur noch eine Banane pro Tag. So führt der Weg unter Umständen rasch in eine Filterblase der Mangelernährung.“ Brisant daran: Weder Verbraucher und Politiker noch Wirtschaftsvertreter sind sich bewusst, welchen immensen Einfluss derartige Plattformen auf unser Konsumverhalten haben. Haase: „In den USA wird das Thema viel schärfer diskutiert. Das wünsche ich mir hierzulande auch. Ich wundere mich über Aktionen wie jene von Cem Özdemir, der ein Verbot großflächiger Werbeplakate vor Kindergärten fordert. Wenn ich Politiker dann frage: ‚Und was ist mit Tiktok?‘, dann kommt zurück: ‚Wissen wir noch nicht.‘ Plakate interessieren die Generation nicht mehr, die vor schädlichem Konsum geschützt werden soll.“
TECH-KONZERNE UND IHR EINFLUSS AUF UNSERE ESSKULTUR
Frage an den Experten: Wie sollte die Politik mit KI-basierten Informationskanälen umgehen? Was kann sie tun, um mit dieser Entwicklung besser Schritt zu halten? Haase: „Es fehlt in Wirtschaft und Politik an einem grundlegenden Verständnis für die Macht der Tech-Konzerne auf unsere Esskultur. Sie können völlig frei agieren. Wir kontrollieren weder ihren Zugriff auf die Zielgruppen noch die dargestellten Inhalte. Digitale Kontrolle braucht es aber – und das entlang der gesamten Lebensmittelkette, bis hinunter zu den Landwirten. Elon Musk kooperiert mit dem Landmaschinenhersteller John Deere. Auch in Bayern fahren deren Traktoren auf Feldern, die mittlerweile voll ausgestattet sind mit digitaler Technik. Den nötigen Internetzugang erhalten die Geräte über das Satellitennetzwerk Starlink, das Musk gehört. Das eröffnet ihm einen ungeheuren Handlungsspielraum. Schlimmstenfalls kann er so die Landmaschinen in Deutschland lahmlegen, wenn ihm etwas nicht passt.“
DIE KÜNSTLICHE KULINARISCHE INTELLIGENZ – EIN JOB-KILLER FÜR DEN KOCH?
Zurück vom Acker in die Küche: Auch hier findet man internetfähige Technik. Haase spricht von der „künstlichen kulinarischen Intelligenz“. Müssen sich Köche Sorgen machen um ihren Job? Es gibt keine Ja-Nein- Antwort auf diese Frage. Was sich aber sagen lässt: Standardisierte Prozesse, wie etwa in der Systemgastronomie, werden künftig vielfach automatisiert ablaufen. Kreatives Kochen können Roboter nicht übernehmen. Sie scheitern bereits an der nötigen Feinmotorik, aber auch am sensorischen Verständnis für Zutaten. Doch KI-Technologie lässt sich auch hier sinnvoll einsetzen. Chips, die nicht nur Temperaturen, sondern auch Gerüche analysieren, können helfen, die Lager- und Kühllogistik effizienter und ressourcensparender zu gestalten. Frühzeitig lässt sich damit erkennen, ob Lebensmittel bald verderben. KI-Tools bieten passende Rezeptvorschläge für einen schnellen Verbrauch.
GIBT ES KONKRETE BEISPIELE, WIE GASTGEBER KI NUTZEN KÖNNEN, UM IHRE GÄSTE GLÜCKLICH ZU MACHEN?
Haase: „Wir erleben eine wahnsinnige Personalisierung unserer Lebenswelt. Die Idee aus der Industrialisierung – ein Auto, ein Stuhl, ein Steak für alle – hatte auch Auswirkung auf das Lebensmittelangebot oder die Gestaltung der Speisekarten in Restaurants. Das wirkt heute nicht mehr. Gäste tragen ihre individuellen Wünsche in die Hotels und Restaurants. Gastronomen können dieser Entwicklung auf zwei Arten begegnen: Sie individualisieren ihr Konzept oder beschränken sich auf ein einheitliches hochqualitatives Angebot. Digitale Helfer bieten die nötige Unterstützung, um individuellen Wünschen gerecht zu werden, etwa bei der Koordinierung von Lieferanten, Zimmerbuchungen, Bestellsystemen.“
FOOD-STARTUPS – FREUND ODER FEIND?
Junge Food-Startups bilden oft die Speerspitze, wenn es darum geht, neue Technologien für Konsumenten nutzbar zu machen. Doch sind sie Freund oder Feind traditioneller Betriebe im Gastgewerbe? Haase sieht darin viel positives Potential. Sein Appell: Nehmt Startups ernst! Nicht nur etablierte Startup-Unternehmen, sondern auch kleine Gruppen innovativer Denker. Sein Wunsch: Mehr Möglichkeiten zum Netzwerken zwischen Gastgewerbe und innovativen Startups. Denn Letztere sitzen oft in Städten, wobei sich Betriebe, die von deren Technologie profitieren können, vielfach auf dem Land befinden. „Dabei ist völlig klar, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen“, betont Haase. „Startups wollen Veränderung, etwas neu und besser machen. Dass die dann aber keine Ahnung von Landwirtschaft oder einem Wirtshaus auf der Alm haben ist verständlich. Ich will Brücken bauen zwischen innovativen Gründern und Gastgebern. Ich bin überzeugt, dass sich daraus unglaublich wertvolle Synergieeffekte ergeben, um eine traditionelle, regionale Genusskultur zu erhalten. Gerade kleine Betriebe laufen sonst Gefahr, in den Algorithmen oder der neuen Kommunikationskultur – Stichwort Tiktok – nicht mehr vorzukommen.“
GENUSSTREND: ERLEBNISSE ZUM RIECHEN, FÜHLEN, SCHMECKEN
Die Digitalisierung nimmt in unserem Leben, privat wie beruflich, einen enorm großen Raum ein. Das Smartphone ist nie weit entfernt. Wie ein amerikanisches Forschungsunternehmen vor einigen Jahren herausgefunden hat, berühren wir es mehr als 2.600 Mal am Tag, manche sogar mehr als 5.400 Mal. Darin verbirgt sich für Haase eine Riesenchance für die Gastronomie und Hotellerie: „Etwas ganz real zu erleben, zu genießen – dem kommt künftig eine große Bedeutung zu. Ein Restaurant in Berlin zielt genau darauf ab mit dem Motto: ‚Fass dein Essen wieder an.‘ Front Cooking, Schnupperkurse, sensorische Erlebnisse gehen genau in die richtige Richtung und holen den Gast aus seiner digitalen Welt. Für mich ist das ein Zweiklang: Wo kann ich digitaler werden, um Lebensmittel und Arbeitskraft zu sparen? Wo kann ich analoger werden, um meine Gäste zu begeistern? Riechen, fühlen, schmecken, Natur- und Gemeinschaftserlebnisse – das ist das, wonach sich Gäste künftig verstärkt sehnen werden.“