Produktion, Verkauf und Vertrieb von Lebensmitteln unterliegen einem ständigen Wandel - das digitale Zeitalter beschleunigt diese Prozesse aber erheblich.
Wie sich das auf das Geschäft von Bäckereiunternehmen auswirken kann, was das für die Kommunikation über Waren und Dienstleistungen bedeutet und wie die Kundenbeziehungen im Jahr 2050 beschaffen sein könnten, erläutert im Interview der gelernte Handwerker und Kommunikationsprofi Hendrik Haase.
Mit Falk Steins vom BÄKO-Magazin habe ich mich über die Zukunft der Bäckereien und Konditoreien in Zeiten digitaler Transformation unterhalten.
Die BÄKO (“Bäcker- und Konditoren-Genossenschaft”) ist eine zentrale Einkaufsgenossenschaft für das Bäcker- und Konditorenhandwerk in Deutschland. Sie unterstützt handwerkliche Betriebe mit einer breiten Palette an Produkten, von Rohstoffen und Zutaten bis hin zu Maschinen und Zubehör.
Wenn früher über die Zukunft der Ernährung in der Science Fiction spekuliert wurde, kam meistens so etwas wie Pillen oder Essen aus Tuben dabei heraus. So weit wird es hoffentlich nicht kommen?
Jedenfalls nicht für alle. Dem Ziel der Langlebigkeit folgend schlucken in den USA einige aber bereits jetzt täglich an die 100 Pillen, um die Biologie zu überlisten. Und wenn man die gegenwärtigen Kl-gestützten Trends zur personalisierten Ernährung inklusive Nahrungsergänzungsmitteln und zur körpernahen Sen-sorik mit der Messung von Schlaf-, DNA- und Mikrobiomdaten weiterdenkt, kann ich mir vor-stellen, dass einige dies bis ins Absurde steigern werden. Und auch heute gibt es schon Bevölkerungsschichten, die einfach billig satt werden wollen. Aber grundsätzlich glaube ich an die Kraft der Kultur, die auch dazu führt, dass wir Menschen Genuss leben möchten.
Welchen Stellenwert haben frische Brote und Backwaren im Jahr 2050 und welche maßgeblichen Transformationsprozesse führen dorthin?
Die Tatsache, dass alles digitaler, vernetzbarer, überwachbarer wird - im positiven wie im negativen Sinn - bringt eine Präzisionslandwirtschaft hervor, die dafür sorgt, dass die Grundlagen für Backwaren anders angebaut werden können. Gleichzeitig werden der analoge Genuss, das Zufällige, die vielfältige sinnliche Erfahrung von Lebensmitteln eine ganz neue Bedeutung bekommen. Der direkte Zugang zu diesem Thema, diese Erlebniswelt, ist für das Handwerk ein echtes Asset, das es von anderen Anbietern unterscheidet, Gleichzeitig wird es nicht mehr so viele Betriebe geben, die das leisten können, sodass dieser Genuss ggf. wenigen vorbehalten bleiben wird.
Wie verändern digitale Vernetzung und Robotik den Arbeitsalltag von morgen in der Produktion?
Prognosen zur Technologieentwicklung sind schon für fünf Jahre im Voraus schwierig. Wir werden aber definitiv eine Zunahme der Automatisierung sehen und dank neuer digitaler Möglichkeiten die Maschinen noch präziser, aber auch individueller steuern können, sodass sich die Maschinen eher wieder dem menschlichen, handwerklichen Maß annähern. Der Bäcker wird mit seiner Backstube kommunizieren können, um zu bestimmen, welches Brot in der kommenden Woche gebacken wird. Deren Algorithmus schlägt ihm auf Basis von Daten zur Getreideernte und -qualität, Lieferketten, Warenbestand, Wettereinflüssen, Retourenquoten, Maschinenauslastung und eventuell Personalplanung Rezepte und Produkte vor, die er dann umsetzen kann oder nicht. Das ist nicht mehr Digitalisierung, sondern eine Mensch-Maschinen-Beziehung, die der Bäcker erlernen muss wie den Gebrauch eines neuen Ofens.
Wie muss ein Bäckereifachgeschäft beschaffen sein, um auch 2050 noch die Kundschaft zum persönlichen Erscheinen zu motivieren?
So wie sich der Lebensmittelhandel vom Kolonialwarenladen zum modernen Supermarkt mit Self-Checkout verändert hat, muss auch in der Bäckerei der Zukunft der Mehrwert gegeben sein. Und da Einkauf und Checkout samt Bezahlung getrackt werden - das ist dank BÄKO-AutoPOS ja schon Realität - geht es hier um die menschliche Komponente: Warum soll ich mit jemand kommunizieren, der nicht mehr weiß über ein Brot als dass es 20% Roggen enthält oder fragt: „Kartenzahlung - ja oder nein?
Darfs ein bisschen mehr sein?" Es braucht vielmehr Menschen, die kenntnisreich durch das Sortiment führen, zum Genuss anleiten und Hintergründe erklären können. Um diesen Mehrwert geht es!
Was verändert sich noch im Verkauf?
Alle Anbieter von Lebensmitteln müssen sich auf eine umfassend vernetzte Welt einstellen, in der so viele Körperparameter aus dem „Internet der Körper" zur Verfügung stehen, dass sich das Verhältnis zum Essen und zur Ernährung gründlich verändert hat. Die Kunden werden dann eine von Grund auf individuellere Beköstigung erwarten und die Frage ist, wie man das künftig meistert - also quasi die „Skalierung der Individualisierung". Geht man darauf voll ein - oder setzt man bewusst ein Statement dagegen, indem man nur drei Brote anbietet? Beratung kann auch die Künstliche Intelligenz übernehmen und Sensorik wird man ihr ebenfalls beibringen können. ChatGPT ist bereits in der Lage, sehr fundierte Ernährungs-empfehlungen zu geben - das hätte ich noch vor vier Jahren kaum für möglich gehalten. Und nun kommt durch die Kooperation von Chat-GPT und Apple die Kl auf eine Milliarde End-geräte: Mit „iOS 18" erhält Siri Superkräfte ...
Die demografische Entwicklung macht uns aktuell wenig Hoffnung, dass in absehbarer Zeit mehr Fach- und Nachwuchskräfte für das Food-Handwerk zur Verfügung stehen. Wie hat die Branche dieses Problem 2050 bewältigt?
Entweder geht sie in die vollständige Automatisierung von der Produktion bis hin zur Bezahlung mit Theken, die sich selbst beladen. Oder eben ins Erlebnis: In Metropolen wie Berlin ist schon jetzt das Erlebnis Backen als Teil des Handwerks ausschlaggebend und gar nicht die Größe des Sortiments. Das menschliche Erlebnis wird 2050 eine größere Bedeutung haben und bringt auch eine Verschiebung der Job-funktionen mit sich: Jetzt müssen nämlich die vorne im Verkauf wissen, wie ein Sauerteig angesetzt wird und das auch erklären können.
Schon heute ist ja der Bäckermeister hinten in der Produktion beim Brotkauf der spannendere Gesprächspartner... Diese Dienstleistung muss allerdings auch ihren Preis haben, also sprechen wir hier tendenziell von einem hochpreisigen Angebot.
Auch Vendingkonzepte machen angesichts des Personalmangels derzeit im Bäcker-handwerk Furore. Werden sie sich durchsetzen - und können sie auch hochwertig konzipiert sein?
Ja, hochwertig digital! Die Konzepte, die mich derzeit am Markt begeistern, sind diejenigen, die das Vending implementieren in ein Gesamtkonzept mit Produkterlebnis. Wo ich also schon jetzt per Kreditkarte mein Lieblingsbrot reser-vieren, bezahlen und es dann entweder im Laden oder am Automaten abholen kann, gerne noch mit einer freundlichen persönlichen Botschaft versehen. Ist der Bäcker dann auch noch fit im Marketing über die einschlägigen Apps, wird ein digitales Gesamtpaket daraus.
Das ist eine neue Dienstleistung, die ihn in der Backstube mit den Handys in den Hosentaschen der Kunden verbindet. Schauen wir jetzt in die Zukunft, glaube ich, dass die Tage der App schon gezählt sind; stattdessen wird es einen zentralen digitalen „Assistenten" geben, der alle Aktivitäten bündelt. Und dann kommt alles darauf an, ob die Dienstleistung einer Bäckerei so relevant ist, dass sie von ihm vorgeschlagen wird. Schon jetzt verliert z. B. Google massiv Werbekunden, weil die User nicht mehr nach „Bäcker Braunschweig" suchen und sich dann mit drei Seiten Suchergebnissen zufrieden geben, sondern einfach die Kl fragen und eine passende Antwort erwarten. Mit solchen Themen sollte man sich eher früher als später beschäftigen, denn es gilt, eine digitale Identität aufzubauen, die im Relevanzspektrum der Kl auftaucht und eine Brücke schlägt zum analogen Genuss.
Heute kauft die Kundschaft noch weit überwiegend im Bäckerei- oder Konditoreifachgeschäft ihre Ware ein. Welche Vertriebswege werden in 25 Jahren vorherrschend sein?
Die Wege des Kunden zum Brot werden hybrider und immer noch Off- und Onlineaspekte beinhalten. Konzepte mit Lieferdiensten sind nach wie vor relevant, doch was aktuell noch per Fahrrad ausgeliefert wird, kommt bald im selbst-fahrenden Lieferroboter oder per Drohne. Zu einem „Onlineshop" im klassischen Sinne kann ich keinem Bäcker raten - es sollte vielmehr um eine smarte digitale Dienstleistung gehen, die das Bestellwesen ebenso beinhaltet wie Eventmarketing - so etwa eine Einladung zur Verkostung - und personalisierte Produktempfehlungen.
Sprechen wir über Kommunikation: Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit bewegt sich im Food-Handwerk derzeit noch weitgehend traditionellen Bahnen. Wie gelangt die „frohe Botschaft" 2050 zu den Verbrauchern?
In Deutschland verhindert der Datenschutz momentan, dass selbst gute, relevante, nicht nervende Informationen übermittelt werden können - das sieht in Asien oder auch den USA bereits ganz anders aus. In Europa steht man sich in puncto digitale Kultur mitunter selbst im Weg oder scheitert an der Überregulierung.
Wenn die europäische Gesetzgebung aber den Weg dafür frei macht, wird es schon sehr bald aber auch hier entsprechende Schnittstellen geben. Wenn Sie Vegetarier sind, zwei Kinder haben und einen Hund zu versorgen, weiß das
z. B. Apple Intelligence aus Ihrer Kommunikation und wird automatisch passende relevante Empfehlungen geben. Das wird nicht jedem gefallen und der Markt der Zukunft wird hybrid sein, aber eine digitale Verweigerung wird immer schwerer durchzuhalten sein.
Welche Zukunft haben die gegenwärtigen Kommunikationswege?
Statische Homepages oder Onlineshops mit ein paar bunten Bildern plus „Gehe auf Instagram oder TikTok, da erreichst du die jungen Leute" - das genügt einfach nicht mehr. Soziale Medien können zwar für einige Betriebe sehr gut passen als Bestandteil einer digitalen Zukunftsstrategie, aber eben nur in Verbindung mit dem ganzheitlichen Dienstleistungsangebot. Mit den selbstlernenden Algorithmen der Kl können viele Handwerksunternehmen und selbst PR-Agenturen im Marketing bislang noch wenig anfangen, aber in Zukunft brauchen wir eindeutig „KI-Relations" und nicht Artikel in Frauenzeitschriften. Eine Branche, die sich mit neuen Märkten beschäftigt, wird immer wieder neue Anhaltspunkte finden und mit dem Markt Schritt halten. Auch der Werbemarkt wird sich in diese Richtung bewegen.
Sie konstatieren, dass wir uns aktuell bereits weit von der Herkunft unserer Lebensmittel entfernt haben, mit den Prozessen in Landwirtschaft und handwerklicher oder auch industrieller Backwarenherstellung gar nicht mehr vertraut sind. Wie nah dran oder weit weg werden wir in der Zukunft sein?
Was das Wissen über die Herkunft von Lebensmitteln betrifft, sind wir viel weiter als vorige Generationen, aber selbst Zertifizierungen wie Bio und Fairtrade gehen manchen nicht weit genug, und sie graben über komplexe Liefer-ketten hinweg noch weiter in die Tiefe hinsichtlich Transparenz, Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit. Aber selbst diese werden ins Leere laufen, wenn es nicht gelingt, die Verbindung mit der „menschlichen Schnitt-stelle" - mit Nase, Mund, Bauch, Herz - herzu-stellen. Meine Hoffnung ist, dass wir lernen, mit der digitalen Informationsfülle „gesünder" um-zugehen. Aktuell stehen viele Jüngere aus den Generationen Z und Alpha unter hohem Stress, weil sie permanent das Gefühl haben, sie ernähren sich falsch oder nicht nachhaltig genug.
Wie wir alle müssen sie lernen, wann wir in den digitalen Raum gehen und Schlüsseltechnologien benutzen - und wann nicht. Momentan bewegen wir uns von Lieferketten oder Einzelunternehmungen hin zu Netzwerken mit begleitenden Algorithmen, die mit unserer Lebenswelt mitwachsen - ich begreife das als einen Kulturwandel, auf den wir Menschen uns einstellen müssen. Wer diesen Kulturwandel versteht und Antworten darauf hat, wird in Zukunft erfolgreich sein.