Interview: news.at – Warum die Beziehung zum Metzger genauso wichtig sein sollte wie zum Arzt oder Anwalt.

© photonews.at/Georges Schneider für qualityaustria

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Eigentlich müsste man meinen, wir wissen alles über Essen. Zucker ist böse. Lebensmittel sollen regional, saisonal und am besten Bio sein. Was ist noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen? 
Die Verbindung zum Ursprung fehlt. Die wenigsten wissen, wo die Lebensmittel genau herkommen, die sie konsumieren. Wir sind sehr weit weg von einem natürlichen Zugang zu den Mittel, die uns am Leben erhalten. 

»Uns fehlt die Verbindung zum Ursprung «

Wie lange gibt es diese Entzweiung von "Ursprung und Tisch" schon? 
Sie hat in den letzten Jahrzehnten stattgefunden. Für die ältere Generation mag das verwunderlich klingen, sie hat noch Erinnerungen an den Hof, wo die Hühner frei herumgelaufen sind oder an den Onkel der Schinken gemacht hat. Die junge Generation kennt das gar nicht mehr. Sie lebt in einer Welt, in der sie sehr weit weg sind von den Ursprüngen.

Gibt es noch etwas was uns heutzutage fehlt? 
Das Gesamtverständnis fehlt den meisten. Es geht nicht nur darum zu wissen, wie viele Kohlenhydrate und Zucker ich essen darf, um gesund zu leben. Sondern vor allen um das Wissen, dass die Nahrungsmittel irgendwo herkommen und erzeugt werden müssen. Die Dimensionen, die dahinterstecken werden uns aber langsam bewusst.

Wie sollte man mit dem neuen Bewusstsein am besten umgehen? 
Auf keinen Fall in Panik verfallen und nur das Schlechte sehen. Statt irgendwelchen Gurus nachzulaufen, sollte man das Thema Essen mit Faszination und Gelassenheit annehmen. Schließlich geht es um Genuss. 

Die Millennials, also die zwischen 1982 und 2002 Geborenen, interessiert sich mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essen gehen als alle Generationen vor ihnen. Warum? 
Das hat verschiedene Gründe. Ich versuche es Anhand eines Beispiel zu erklären. Ein Brot zu backen mit Mehl, Salz und Wasser hat etwas sehr authentisches. Es ist auch haptisch, was ein krasser Gegensatz zur ganzen digitalen Welt ist. Solche "echten" Erlebnisse sind sehr selten geworden in unserer technologisierten Welt. Über das Essen kann man noch eine gewisse Selbstbestimmung ausüben. Es ist eben mehr als nur Nahrungsaufnahme. Im Essen stecken auch Themen wie Klimawandel, Politik, Identität, Heimat und Gesundheit. Einfach alles was uns bewegt. 

»Es gibt ganz wenige intime Beziehungen zur Umwelt. Das sind eigentlich nur Sex und Essen.«

Das gesteigerte Interesse am Essen ist also positiv? 
Ja, total. Auch wenn es manche Menschen - gerade in älteren Generationen - vielleicht aufregt, dass so viel über das Essen gesprochen wird. Aber was gibt es schon wichtigeres als Essen? Es gibt ganz wenige so intime Beziehungen zur Umwelt. Das sind eigentlich nur Sex und Essen. Wann tue ich sonst etwas in meinen Körper? Und am Ende wird das was ich in mich reinstecke eine Zelle von mir. Ich finde es ist wert, sich damit zu beschäftigen.

Wie stehen sie zu Superfoods und anderen Ernährungstrends? 
Ich finde man sollte nicht jedem Trend hinterher rennen. Mir geht es eher darum sich die Grundmotivation anzusehen. Warum entsteht überhaupt ein Trend? Zum Beispiel beim Craft Beer. Junge Leute fangen plötzlich wieder an zu brauen. Hier ist eigentlich nicht das Craft Beer an sich der riesen Trend. Sondern das Phänomen, dass Leute anfangen in der Garage ein Bier zu brauen, das sich deutlich von den Produkten der Brauindustrie abhebt. Plötzlich gibt es wieder eine Vielfalt. Die Industrie hat den Kunden vergessen und wenig Innovationen geleistet. Dann ist es eigentlich toll, dass plötzlich eine kleine Revolution stattfindet.

© photonews.at/Georges Schneider

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Auf was sollte man beim Fleischkauf achten? 
Das ist ganz einfach: Mach den Metzger zu Deinem Freund. Die Beziehung zu ihm ist genauso wichtig wie die ein guter Arzt, Rechtsanwalt oder Friseur. Der Diskurs ist wichtig. Jeder sollte immer bei seinem Metzger nachfragen, wo genau das Fleisch herkommt. Einfach Interesse zeigen, offen sein und nachfragen.

Die Tricks bei Kennzeichnungspflichten der Lebensmittelindustrie sind schier unendlich. Wie können Verbraucher sich schützen? 
Es gibt leider kein Patentrezept. Die beste Prävention ist möglichst wenige Produkte zu kaufen, auf denen ein Barcode drauf klebt. Sowie Produkte, die nicht verpackt sind und noch nicht komplett fertig verarbeitet sind. Bei einer Zucchini oder einer Kartoffel kann auch die Lebensmittelindustrie schwierig mit Zusatzstoffen spielen.

Welche Maßnahmen seitens der Politik wären wirksam? 
Meine Erfahrung ist, dass wir alle relativ Siegelmüde geworden sind. Gerade Politiker und NGOs setzen auf Qualitätssiegel. Wenn aber fünf Aufkleber auf einem Produkt sind, kann kein Verbraucher mehr etwas damit anfangen. In Zukunft müssen wir in anderen Dimensionen denken - und genau das fordere ich von der Politik. Wir brauchen ein neues Verständnis von Innovation im Bereich des Lebensmittelhandels.

Kann Essen die Welt retten? 
Ja, wird es. Schon allein weil Essen der größte Treiber des Klimawandels ist. Aber wir können das mit jeder Mahlzeit selbst beeinflussen! Wir sollten uns aber gleichzeitig kein schlechten Gewissen machen lassen. Beim Essen sollte es primär um Genuss gehen, nicht darum CO2 zu sparen.