In den letzten Wochen saßen mehrere Hundert – fast zweitausend – junge Menschen vor mir. Auszubildende und Berufseinsteiger:innen und -einsteiger:innen aus dem Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland: Menschen, die ihren Berufsweg gerade beginnen – sei es im Supermarkt selbst, oder im Hintergrund, in Verwaltung, Logistik oder in der Produktion der angeschlossenen Bäckereien und Fleischereien.
Sie alle treten ihren Weg an in Zeiten, in denen die Diskussion rund um die sogenannte Künstliche Intelligenz immer weiter hochkocht. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass neue Schlagzeilen die Runde machen, welche Berufe und Ausbildungen bald nutzlos sein werden, weil Maschinen, Roboter und Algorithmen angeblich alles besser können.
Fotos vom fitfortrade Finale im Kölner E-Werk. Hier wurde die beste Nachwuchskraft im Lebensmitteleinzelhandel gekürt. Vorab gabs noch etwas Wissensfutter.
Mut statt Maschinenangst
In meinen Vorträgen habe ich versucht, diesen jungen Menschen Mut zu machen. „Lasst euch von Robotern oder Chatbots keine Angst einjagen.” war mein Mut machendes Finale am Ende meiner Keynotes in München und Köln.
Bemerkenswert ist allerdings: Deutschland liegt in internationalen Umfragen auf dem letzten Platz, wenn es darum geht, ob Arbeitnehmer:innen glauben, dass sich der eigene Job durch KI verändern wird.
Andere Länder – in Afrika, Südamerika, aber auch in andern Teilen von Europa – sind da weitaus wacher. Noch gravierender ist, dass Deutschland auch beim Thema KI-Training im Job Schlusslicht ist. Länder wie China, Saudi-Arabien, Indien oder die Schweiz liegen weit vorne – mit doppelt oder dreifach so hohen Quoten von Beschäftigten, die schon heute Schulungen oder Fortbildungen zu generativer Künstlicher Intelligenz erhalten.
Auch unser Digital Food Monitor 2025 zeigt: Während viele Unternehmen längst KI-Tools einsetzen – etwa zur Absatzprognose, Produktionsplanung oder Rezeptentwicklung – investieren nur wenige in die Menschen, die diese Tools anwenden sollen. KI-Bildung wird als Zukunftsfeld erkannt aber noch nicht gefüllt. Genau hier entsteht eine gefährliche Lücke der Transformation: eine Bildungslücke.
Gleichzeitig dominieren hierzulande Ängste am Arbeitsplatz von “den Maschinen” verdrängt zu werden. In solchen Zeiten helfen die vielfach gezeigten, menschenähnlichen Roboter, die zur Illustration des technologischen Wandels dienen sollen, wenig. Denn die eigentliche Revolution findet längst im Kleinen statt – leise, subtil, unspektakulär: in Spracheingaben, in Chats, in kleinen Fenstern, die plötzlich Antworten liefern, Entscheidungen vorbereiten oder ganz abnehmen und unsere Arbeitswelten Stück für Stück verändern.
Der stille Wandel in der Lebensmittelwelt
Gerade in der Lebensmittelbranche ist dieser Wandel spürbar. Der digitale Esskulturwandel ist real und wird durch große Sprachmodelle und KI-Chats weiter vorangetrieben.
Auch der Lebensmitteleinzelhandel verändert sich sichtbar: Schon heute lassen sich über KI-Agenten Bestellungen in Online-Shops auslösen. Die Begeisterung für den Einkauf von Lebensmitteln hat bei der Nutzung von KI-Tools deutlich zugenommen. Lebensmittel liegen inzwischen vor Haushaltsgeräten, Mode und sogar Autos, wenn es um Themen geht, über die in KI-Chats gerne gesprochen wird. Das zeigt, wie relevant diese Branche ist – und wie sehr sie sich durch digitale Werkzeuge verändern wird.
Analoge Stärke als Zukunftskompetenz
Gerade deshalb sind Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger heute mehr denn je gefordert, ihre analogen Stärken auszuspielen: das Menschliche, das Zwischenmenschliche, das, was Technologie eben nicht ersetzen kann.
Lebensmittel bleiben – trotz aller Digitalisierung – analoge Produkte. Sie wollen erlebt werden. Wir wollen überrascht, inspiriert, berührt werden. Natürlich kann KI helfen, neue Rezepte zu finden oder Ideen zu liefern, was man mit den Resten im Kühlschrank anfangen kann. Aber beim Einkauf geht es um mehr: um Inspiration, um Begegnung, um das sinnliche Erleben.
Eine Begegnung, die bleibt
Besonders eindrücklich war für mich daher eine Begegnung im Foyer des fitfortrade-Finales in Köln. Über 800 junge Menschen kämpften dort um den Titel der besten Nachwuchskraft im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Neben all den Markenständen und Wettbewerben blieb mir eine Begegnung im Gedächtnis:
Im Foyer stand eine Apfelsommelière aus Südtirol. Sie bot Verkostungen an, sensibilisierte die Sinne, ließ die Teilnehmenden Apfel z.B. mit Frischkäse oder mit Speck kombinieren – und zeigte unterstützt von einem Aromenrad, welche Nuancen und sensorischen Feinheiten in einem so alltäglichen Produkt wie dem Apfel stecken. Kein Algorithmus der Welt kann diese individuelle, menschliche Erfahrung ersetzen.
KI-Kompetenz als Schlüssel – nicht als Konkurrenz
Die große Aufgabe liegt nun bei uns – denjenigen, die sich mit der digitalen Transformation der Lebensmittelwelt beschäftigen, aber auch bei den Führungskräften in den Betrieben. Wir müssen Nachwuchskräfte nicht nur mit neuen Technologien vertraut machen, sondern sie befähigen, diese aktiv mitzugestalten.
Fotos vom Vortrag bei der Azubi-Begrüßung der EDEKA Südbayern.
© EDEKA
Denn KI-Kompetenz bedeutet nicht, dass Menschen ersetzt werden. Sie bedeutet, dass Menschen lernen, Technologie zu verstehen, zu hinterfragen und für sich zu nutzen.
Wir dürfen die jungen Menschen in dieser Phase nicht allein lassen – weder mit der Angst vor der Maschine, noch mit den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten.Was sie jetzt brauchen, ist Bildung, Orientierung und Ermutigung.
Die Zukunft braucht Menschen
Die Zukunft braucht Menschen. Menschen mit Neugier, Mut und Menschlichkeit. Sie sind es, die den Wandel gestalten – nicht die Maschinen.
Und vielleicht ist genau das die wichtigste Botschaft an den Nachwuchs in der Lebensmittelwelt: Dass der Wandel nicht über sie hinwegrollt – sondern dass sie selbst Teil dieser Transformation sind.
Gewinnerin des fitfortrade Wettbewerbs und beste Nachwuchskraft im Handel - Laura Brandt
Alle Fotos bis auf Kennzeichnung: © reinhard rosendahl fotografie