Wie schmeckt die Zukunft? - Interview mit dem Falstaff Gourmetmagazin

(c) Anika Mester

Falstaff: Wie schmeckt die Zukunft?

Hendrik Haase: Vielfältig. Spannend. Herausfordernd.

Kaum eine Frage spaltet die Gesellschaft so, wie die vermeintlich harmlose Frage: Was isst du? Unsere Ernährung ist enger denn je mit unserer Identität verschmolzen. Man ist, was man isst. Doch mehr noch, die Ernährungsfrage ist zu einer Glaubensfrage geworden. Wird unser Essen zu unserer neuen Religion?

Ernährung ist zu einem wichtigen Teil unseres Lifestyles geworden und damit bedeutendes Element der Erzählung über uns selbst. Bei immer weiter sinkenden Mitgliedszahlen klassischer Glaubenseinrichtung, kann die Beschäftigung mit Ernährung durchaus religiöse Züge annehmen. Wir suchen in einer zunehmend unübersichtlich erscheinenden Welt nach Orientierung, Distinktion oder Sicherheit. Lebensmittel können das bieten. Einige Ernährungsformen wirken dabei allerdings heute schon sektenhaft. Dennoch würde ich diese Entwicklung nicht nur negativ sehen, sondern als Zeichen der gestiegenen Bedeutung des Themas in unserem Leben.

»Wir als Gesellschaft müssen uns mit der Frage beschäftigen, welche Rolle unkontrollierter Genuss noch spielen kann.«

Hippokrates riet uns: »Lass die Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung!« Sollten wir unser Essen als Heilmittel verstehen?

Schon heute kommunizieren Personenwaage, Fitness Armband oder Blutzuckersensor mit Gesundheits-Apps auf dem Smartphone. In Zukunft werden wir eine weitere Verschmelzung von Medizin und Ernährung hin zu einer personalisierten Präzisionsernährung erleben. Das klingt zunächst nicht wirklich lecker, wird uns allerdings ermöglichen, Diäten hinter uns zu lassen und vorausschauender zu konsumieren. Wir als Gesellschaft müssen uns dann allerdings mit der Frage beschäftigen, welche Rolle unkontrollierter Genuss noch spielen kann.

Durch unsere modernen Essgewohnheiten, die einseitige Ernährung mit industriell verarbeiteten Lebensmitteln zerstören wir unsere Lebensgrundlage: unser Mikrobiom. Die Folge: Zivilisationskrankheiten, wie Allergien, Adipositas und Diabetes. Wie können wir unsere Nahrung wieder genießbar machen, damit sie uns nicht schadet, sondern nährt?

»Das Mikrobiom zeigt, wie individuell ›gesund‹ für jede:n einzelne:n von uns definierbar ist.«

Mit allgemeinen Gesundheits- oder Ernährungsempfehlungen tue ich mir sehr schwer. Gerade das Mikrobiom zeigt, wie individuell »gesund« für jede:n Einzelne:n von uns definierbar ist. Die Forschung ist hier vorangeschritten aber längst nicht am Ende. Vieles deutet darauf hin, dass gewisse Zusatzstoffe die »Kommunikation« von Mikro-Organismen im Darm und unserem Organismus stören. Ich verzichte daher weitestgehend auf unnötige Aromen oder Verdickungsmittel. Es gibt bereits eine Reihe an Startups, die Analysen der Welt der Microlebewesen in unserem Bauch mit smarter Ernährung verbinden. In diesem Feld werden wir in Zukunft noch mehr erleben.

Was halten Sie von Lebensmitteln aus dem Labor, wie beispielsweise von dem berühmten 250.000 Euro Burger? Ist das die Zukunft?

»Gut möglich, dass wir bald auch hierzulande Fermentationstürme aus Edelstahl sehen aus denen man Hackfleisch ›zapfen‹ kann.«

Dieser Burger kostet heute bereits weniger als 50 Euro, Hühnchenburger aus dem Biofermenter liegen bereits unter 20 Euro. Die Startups im Kulturfleischsektor sind mit Millionen an Risikokapital ausgestattet und arbeiten bereits an der Skalierung, sprich Massenproduktion marktfähiger Produkte. Ziel ist es, damit Fleisch von lebendigen Tieren preislich zu unterbieten. Erste Supermärkte schließen Kooperationsverträge. Gut möglich, dass wir bald auch hierzulande Fermentationstürme aus Edelstahl sehen aus denen man Hackfleisch »zapfen« kann. Ich finde diese Entwicklung sehr spannend und das Zusammenspiel aus Biotechnologie und digitaler Technologie faszinierend. Die Branche muss aber auch die vielen Versprechen in Sachen Nachhaltigkeit, Verträglichkeit und Geschmack einlösen, ganz zu schweigen von einer EU-weiten Regulation dieses »Novel Foods«.

In Ihrem aktuellen Buch »Food Code«, widmen Sie sich der Frage, wie wir in der digitalen Welt die Kontrolle über unser Essen behalten können. Wie verändert die Digitalisierung unsere Esskultur?

Gravierend. Von Acker bis Teller. Schneller als wir denken – und das Ganze ist bereits heute in vollem Gange. Es bestehen reelle Chancen auf eine vielfältigere, transparentere und zugänglichere Lebensmittelwelt, dank immer schlauer werdender Algorithmen, Sensoren und Netzwerken. Gleichzeitig sehe ich die Gefahr von weiterer Monopolisierung, Kontrollverlusten und neuen Abhängigkeiten. Für meinen Ko-Autor und mich sind das Gründe warum wir uns umgehend und tiefgreifend mit dieser digitalen Transformation unseres Lebensmittelsystems beschäftigen sollten.

Was sind die Chancen der digitalen Revolution? Wie werden wir in Zukunft unsere Lebensmittel anbauen und wie werden wir sie einkaufen? Kann unser Smartphone dabei wirklich die Brücke vom Acker zum Teller schlagen?

»Nachhaltige Lebensmittel für alle werden durch diese arbeits-, dünger- und pflanzenschutzsparende Präzision erst möglich werden. Ich bin hoffnungsfroh.«

Das tut es schon jetzt, wenn wir wollen und die richtige App installiert haben. Direktvermarktung, Adoption von ganzen Äckern, Obstbäumen oder Parzellen ist schon jetzt digital möglich. Landwirte und Kunden, die diese Direktvermarktung 4.0 nutzen, profitieren bereits enorm von den neuen digitalen Möglichkeiten. Auch auf den Höfen passiert einiges: Traktoren fahren teil-autonom, Sensor- und Satelliten gesteuert. In China fliegen an die 100.000 Agrardrohnen, die Kleinbauernkollektiven beim Ausbringen von Saatgut und Pflanzenschutz helfen. Geflogen wird mit dem Smartphone aus der Hosentasche. Nachhaltige Lebensmittel für alle werden durch diese arbeits-, dünger- und pflanzenschutzsparende Präzision erst möglich werden. Ich bin hoffnungsfroh. Dafür müssen wir allerdings unserer Vorstellung von Landwirschaft ein »Update« verpassen und die entsprechende Infrastruktur schaffen.

Wie hat Corona unsere Esskultur verändert?

Die Krise war ein Katalysator für die digitale Transformation unserer Lebensmittelwelt. Lieferdienste, Rezeptdatenbanken, die smarte Home-Kitchen, aber auch Erntehelferplattformen in der Landwirtschaft, die Notwendigkeit des Einsatzes von automatisierten Prozessen und Robotik, alles hat einen Turbo eingelegt. Vielen Leser:innen wird es vielleicht an der ein oder anderen Stelle aufgefallen sein. Ich hoffe, dass dieser Wake-up Effekt anhält, wir dran bleiben und diese Entwicklungen nicht wieder im Verborgenen stattfinden lassen.

(c) Mario Sozia

»Tierhaltung gehört zu einer Landwirtschaft, die nachhaltig im Kreislauf funktionieren soll.«

Sie werden auch der »Wurstsack« genannt, denn Sie haben ein Buch über die neue Fleischkultur geschrieben (»Crafted Meat: Die neue Fleischkultur: Rezepte, Handwerk und Genuss«) und sogar eine eigene Metzgerei eröffnet (»Kumpel & Keule«). Doch ist Fleischkonsum im Angesicht der sich verschärfenden Ressourcenknappheit infolge der Klimakrise, der Corona-Pandemie sowie aktuell des Kriegs in der Ukraine überhaupt noch tragbar?

68 Prozent der weltweiten Agrarflächen sind Grasland, das sich nicht so einfach umpflügen lässt, da es für den Ackerbau nicht taugt. Noch schlimmer, durch ihren Umbruch würde ein großer CO2 Speicher zerstört. Diese Flächen sind nachhaltig nur durch Wiederkäuer nutzbar, die für uns Unverdauliches (Gras) in wertvolle Lebensmittel (Milch, Fleisch) verwandeln. In der Land- und Lebensmittelwirtschaft entstehen weiterhin Nebenprodukte, die nur durch Tiere nutzbar sind. Ein Liter Hafermilch führt zu der dreifachen Menge an organischen Überresten, die als Tierfutter ihre Verwertung finden. Tierhaltung gehört also zu einer Landwirtschaft, die nachhaltig im Kreislauf funktionieren soll.

Diese Argumente dürfen aber nicht für eine Weiterführung bestehender Verhältnisse gelesen werden. Die Tierhaltung ist global zu stark gewachsen und muss zu einem gesunden Maß zurückfinden.

Mein Buch »Crafted Meat« wie auch die von mir mitgegründete Metzgerei stellen dazu Entwürfe für Gegenmodelle dar. Entwürfe für eine Welt in der »weniger aber besser« beim Fleisch möglich wird.

Können wir die Welt retten, indem wir anders essen?

Der Lebensmittelsektor ist für rund 37 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Selbst wenn wir alle Bereiche unserer Lebenswelt »auf grün« schalten, wird es nicht reichen. Wir müssen also anders essen, um die Welt zu retten. Anders geht es nicht.

»Für mich ist echter Genuss die Folge von Achtsamkeit und Hinwendung zu unseren Lebensgrundlagen.«

Wie können wir eine genießbare Zukunft für uns alle schaffen?

Einmal in dem wir achtsamer mit dem umgehen, was wir dreimal am Tag in uns hineinstecken oder schütten. Dabei wird vielen auffallen, dass es längst nicht mehr um das reine satt gehen kann. Die vielen Dimensionen, die unsere Ernährung heute berührt, sind herausfordernd, aber genauso spannend. Diese in planetaren Grenzen und im menschlichen Maß zu halten, bei gleichzeitiger Wahrung unserer demokratischen Freiheitswerte ist zugegeben eine Herausforderung. Dass bei all diesen Dimension der Genuss nicht zu kurz kommt ebenfalls. Für mich ist echter Genuss allerdings die Folge von Achtsamkeit und Hinwendung zu unseren Lebensgrundlagen. Nur wenn ich hier eine gewisse Balance spüre, kann ich mich mit Freude dem nächsten Genuss widmen.