Kurz vor der Jahrtausendwende wurde ich vom Leiter der Computer AG meines niedersächsischen Gymnasiums angesprochen doch die Webseite eines örtlichen Konservenherstellers zu gestalten. Gesagt, getan. Mein erster Schülerjob als Designer wurde so zur ersten Begegnung mit der Lebensmittelindustrie. Es sind die Jahre, in denen Amazon in Deutschland anfängt erste Bücher online zu verkaufen.
20 Jahre später sitze ich im Silicon Valley in der Kantine von Google und bin erstaunt welche gesunde Vielfalt den größtenteils jungen MitarbeiterInnen geboten wird. Hier wird frischgepresst, gebrüht, gekocht und egal ob vegan, paleo oder laktosefrei, die Auswahl ist riesig. Am Abend lese ich in Cupertino unter anderem vor Apple-Mitarbeitern aus meinem Buch über „Die neue Fleischkultur“. Alle sind hier verrückt nach gutem Essen. „Food“ ist für viele der nächste Markt, der umgedreht oder „disrupted“ wird, wie man hier sagt. Am Tag zuvor habe ich in San Francisco jungen Food-Startups bei ihren Präsentationen zugehört. Beim Foodbytes Event ging es um Burger aus Pflanzen, die bluten können, Drohnen, die über Äcker fliegen und Smartphone gesteuerte Verkaufsautomaten, die keine Limonaden und Zuckerriegel anbieten, sondern frische, regionale Salate. Von meiner Food-Tour durch Kalifornien berichte ich live auf Instagram und begreife, dass die Lebensmittelwirtschaft vor einem enormen Wandel steht.
In Deutschland gelte ich oft genug noch als verrückter Foodie-Hipster, wenn ich genau wissen will, wo mein Essen herkommt und was wirklich drin steckt. Dabei bin ich inzwischen einer von sehr vielen, für die Lebensmittel wichtig und ganz selbstverständlich Teil des Lifestyles geworden sind. In den USA aber auch in den Niederlanden und Israel wird dies längst als Markt der Zukunft angesehen. Dort entstehen Food-Startup-Acceleratoren und Investoren unterstützen die neue Gründerszene mit Milliarden. In Deutschland sehe ich bei den meisten Funktionären und Politikern noch große Fragezeichen, wenn ich von diesen Entwicklungen berichte.
Bei meinen Vorträgen über die food-verrückte Generation der Millennials kann ich mittlerweile auf fast jeder Bühne, ob sie nun in Hannover, Braunschweig oder Osnabrück steht, ein regionales Craftbeer trinken. Damit nicht genug, an vielen dieser Orten finde ich immer öfter spannende GründerInnen für die „was mit Lebensmitteln“ das neue „was mit Medien“ geworden ist. Unterdessen klagt die klassische Lebensmittelindustrie über Nachwuchsmangel. In Berlin hat vor kurzem ein Handelskonzern die Hälfte seines Parkhauses geopfert um ein „Food-Tech Campus“ entstehen zu lassen. Hier sollen viele junge Start-ups Produkte der Zukunft entwickeln.
Wenn die Zukunft der Lebensmittelwirtschaft nicht nur im Silicon Valley sondern auch in Niedersachsen geprägt werden soll, brauchen wir dringend ein neues Verständnis und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen. Wir brauchen neue kreative Spielplätze auf denen Innovationen entstehen können. Wir brauchen neue Brückenpfeiler, die geeignet sind zwischen etablierten Unternehmen und der wilden Food-Startup-Welt Verbindungen und Kooperationen möglich zu machen. Und natürlich braucht die Zukunft Unterstützung von Politik, Behörden und der Industrie.
Während ich diesen Text schreibe ruft Julia von PIELERS an. Sie hat eine Onlineplattform aufgebaut die lokale Erzeuger mit Kunden vernetzt. Sie läd mich zur Fotosafari nach Norddeutschland ein. Das Ziel ist Bauern und Produzenten als neue Helden abzulichten und ihre Produkte für Instagram in Szene zusetzen. Dem Gründerteam geht es um nichts weniger, als das Amazon für gesunde Lebensmittel direkt vom Erzeuger zu werden. Die Garage, in der die Zukunft der Lebensmittelwirtschaft Niedersachsens entsteht könnte also im Geestland stehen – wenn wir es wollen.