Interview: Experten-Blog der Grünen Woche

Im Vorfeld der Grünen Woche 2019 stand ich der Messeleitung rund um meine Jurymitgliedschaft bei den Start-Up-Days Rede und Antwort. Die Start-Up-Days finden 2019 bereits zum zweiten Mal während der Messe statt um jungen Gründern und Gründerinnen die große Bühne zu bieten.

Das Interview erschien im Original auf der Webseite der Grünen Woche.


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Er bezeichnet sich als „Wurstelier“, ist Architekt der deutschen Food-Szene und gleichzeitig Top-Interviewpartner und Geheimwaffe der deutschen Food-Medien. Als Journalist in seiner Nähe sollte man sein Mikro fest und den Notizblock versteckt halten, sonst verlässt man ein Treffen mit schlagkräftigen Meinungen zur deutschen Ernährungskultur oder deckt ganz nebenbei einen Lebensmittelskandal auf. Wenn Ernährungs-Anthropologen einer neuen Lebensform einmal die Überreste der Menschheit entdecken, finden sie hoffentlich einen Schädel mit Zylinder und stellen fest: Es hätte Hoffnung gegeben.

Herr Haase, Sie waren im Sommer in den USA: Haben Sie den Gründer-Spirit im Koffer und sind wir jetzt gerettet?

Den Gründer-Spirit habe ich auf meiner Heimreise nach Deutschland selbstverständlich nicht vergessen. Allerdings muss der Geist hier erst noch aus der Flasche gelassen werden. In Deutschland gibt es zwar einige Gründer und dementsprechend auch eine Gründer Szene, die sich stetig entwickelt, trotzdem ist sie im Vergleich zu anderen Ländern, eher schwach ausgeprägt. Am ehesten ist er noch in Berlin spürbar, für die Zukunft wünsche ich mir aber eine flächendeckende Verbreitung. Um die Entwicklung der Gründer Szene weiter zu fördern, sehe ich vor allem Handlungsbedarf seitens der Politik und Wirtschaft. Ein Blick ins Silicon Valley zeigt, wie ernst das Gründerthema in den USA genommen wird. Gründungszentren für Food Startups stellen beispielsweise Mentoren aus den Bereichen Recht, Lebensmittelchemie und Food Design zur Verfügung, um aufstrebenden Startups unter die Arme zu greifen. Ein solch professionalisiertes Umfeld wird auch in Deutschland benötigt. Besonders problematisch ist hierzulande für junge Gründer der Umgang mit den Behörden. Es steht außer Frage, dass Regularien in der Lebensmittelbranche von Nöten sind, nichtsdestotrotz haben junge Unternehmen es mit ihrer geringen Erfahrung unglaublich schwer, sich gegen die öffentlichen Behörden zu behaupten.

Wann trifft ein Food-Startup Ihren Geschmack?

Am spannendsten sind für mich Food-Startups, die nicht den neusten Food-Trends folgen, sondern dem Markt gänzliche neue Produktideen präsentieren, die ihrerseits zu neuen Trends führen. Das Startup, das es schafft, seine Idee von der Herstellung bis hin zum Endprodukt zu durchdenken und sich dabei von den klassischen Wegen der Produktentwicklung löst, demonstriert wahre Innovationsfähigkeit. Statt bei der Konzeption nur das fertige Produkt im Sinn zu haben, überzeugen Modelle, bei denen Kunden, ebenso wie die Zulieferer miteinbezogen werden.

Was schmeckt Ihnen an der Ernährungsindustrie überhaupt nicht und auf welche Lösung warten Sie?

Als besonders destruktiv erachte ich die „Opfer-Haltung“ die die Platzhirsche der Lebensmittelindustrie gerade einnehmen. Sie befinden sich zum Teil in einer regelrechten Schockstarre angesichts der vielen Kritik, die sie derzeit einstecken müssen hinsichtlich Intransparenz, Herstellungsweisen und Produktionsbedingungen. Ich denke daher, dass die Zukunft den jungen GründerInnen gehört, die jene Neuerungen und Lösungen entdecken, die der alten Lebensmittelindustrie bisher verborgen blieben. Sie werden so hoffentlich verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und den Weg in eine genussvolle Zukunft weisen.

Presse: brandeins – Schwerpunkt: Lebensmittel

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Für die November Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins zum Thema “Lebensmittel” habe ich mit Jacob Vicari über Food Trends und die Markthalle Neun in Berlin gesprochen.

(…)

Essen wird endgültig zum Pop, und die Markthallen sind die neuen Clubs, in denen sich die Szene trifft.

Die Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg ist einer dieser Hot-spots der Bewegung, wo Trends entstehen - oder altes Handwerk wiederentdeckt wird. In der luftigen alten Backsteinhalle gibt es eine Bäckerei, eine kleine Brauerei, die Tofurei und Streetfood-Stände. Wenn plötzlich Sauerteigbrot oder der Eintopf hip wird, dann ist das oft an einem Ort wie der Markthalle Neun passiert. Zusammen mit Metzgermeister Jörg Förstera betreibt Hendrik Haase dort seit dem Jahr 2015 die Metzgerei Kumpel & Keule. In einer Zeit, in der es immer mehr Vegetarier gibt, haben Haase und Förstera die Ochsenbacke zum Trendfood gemacht. In der Küche hinter der Glasscheibe wird sie 24 Stunden geschmort. „Es gibt eine Sehnsucht, sich mit der Welt zu verbin-den, eine Sehnsucht nach authentischen Lebensmitteln", sagt Hendrik Haase.

Wenn es eines Beweises für einen Gegentrend zum Vegetarismus bedarf, dann ist es die lange Schlange, die sich zur Mittagszeit vor der kleinen Metzgerei bildet. Neben Wurst gibt es dort auch die Gewürze, Bio-Urwaldpfeffer aus Indien und Küm-mel aus Hohenlohe. "Unsere Spezialitäten können Spuren von Liebe, Weizen, Leidenschaft, Senf, Freude, Sellerie, Hingabe und Milch enthalten", steht auf dem Tresen. Ein paar Schritte außer-halb der Markthalle haben die Macher gerade ein Restaurant eröffnet, die Speisewirtschaft. „Instagrammable, down to earth und trotzdem kreativ", lobt ein Gast. "Die Leute wollen wieder weniger, dafür besseres Fleisch essen", sagt Haase, „den Rücken einer neun Jahre alten Kuh verticken wir gerade stückweise über Instagram." Der 34-Jährige, der stets mit Zylinder auftritt, sieht sich als Aktivist. Metzger, die ihr Handwerk beherrschen, nennt Hendrik Haase allen Ernstes „Künstler am Darm", seine Bewegung Crafted Meat. Durch das Fenster der Metzgerei können die Kunden die Verarbeitung von der Keule bis zur Wurst sehen.

Haase sagt: „Essen hat etwas mit Tradition zu tun, mit Identität. Und eben auch mit dem Verlust von Identität." Das, was in der industriellen Lebensmittelproduktion verloren gegangen ist, bedient Kumpel & Keule. In den vergangenen Jahren hat sich eine neue Generation von Metzgern gebildet, die mit Leidenschaft und aus Überzeugung auf der Suche nach einer neuen Fleischqualität sind. Sie verdienen gut und liefern eine Alternative zu Billigfleisch dubioser Herkunft. „Wo ist diese Welt geblieben, in der sich nachvoll-ziehen ließ, wo unsere Lebensmittel herkommen fragt Haase. „Warum ist davon so wenig übrig geblieben?“

Ein Tipp für die Zukunft: Fett!

In ihrem Foodreport 2019 schreibt Rützler, die Menschen woll-ten „essbare Ethik statt industrieller Effizienz". Sie glaubt, dass auch die Transparenz ein Megatrend ist, der sich durch neue Techniken in der Industrie verwirklichen lässt. Foodscout Kägi empfiehlt, Zuchtlachs aus den Schweizer Alpen zu probieren, den hat er gerade ins Programm gehoben. Und natürlich Kartoffeln. Wurstaktivist Haase rät zu mehr Mut beim Fleischkauf: „Einfach nächstes Mal in der Auslage der Fleischtheke das Fett suchen. Gutes Fett haben alte Rassen, Tiere, die alt geworden sind und sich viel bewegt haben. Fett ist geil."